Gedanken zum Glauben

Himmelsgrüße

Von Pfarrer Winfried Anslinger (September 2006)

"Das mit dem Himmel, das ist doch eigentlich alles Quatsch!" sagte die Tante bei ihrem 85. Geburtstag. Es war gegen Abend. Einige Gläser Sekt und Eierlikör waren zuvor in fröhlicher Runde geleert worden und der Neffe wollte gerade gehen. Er wunderte sich.

Hatte die kinderlose Tante nicht vor kurzem erst ihr Wertpapierdepot der Kirchenstiftung Sankt Hildegard vermacht? Hatte sie neulich nicht gesagt, ohne Fernsehgottesdienst sei bei ihr kein Sonntag? Ihm kam das jetzt vor wie wenn ein Marathonläufer 20 Meter vorm Ziel schlapp macht. Das ging doch nicht.

Dem Neffen, der nun auch schon auf die 60 zuging, war das mit dem Himmel nie wichtig gewesen. Man solle doch erst mal schauen, ob auf der Erde alles mit rechten Dingen zugeht, hatte er immer gesagt.

So war manches Irdische bei ihm an die Stelle des Himmels gerückt: Der Hunger in der dritten Welt, die Hochrüstung, die Kinder aus benachteiligten Familien.

Doch wie sah jetzt seine eigene Bilanz aus?

Hatte er tatsächlich ins Rad der Geschichte gegriffen? Die mittlerweile promovierten Arbeiterkinder fuhren heute Taxi, weil Lehrer dann doch nicht gebraucht wurden. Seine morgendliche Fahrt zur Schule war ein Frohndienst, bei dem er jedesmal die Jahre und Monate bis zur Pensionierung zählte.

Mit der Ehe hatte es auch nicht geklappt. Nichtmal die Weltrevolution war gekommen, stattdessen war er nun Oberstudienrat, und dieser Tausch fühlte sich nicht einmal schlecht an.

Doch seit seine Kniearthrose so schlimm geworden war, mied er nun sogar den Tennisplatz. Jetzt zogen sich die Sonntagnachmittage manchmal wie Gummi. Wenn er sich wenigstens für Fußball interessieren könnte. Die Langeweile fühlte sich so brisant an, dass er oft aus dem Haus musste.

Was er vor Jahren sich so vorgestellt hatte, vom Leben und so, war vielleicht auch alles Quatsch gewesen.

Der nächste Tag war ein Sonntag, die Sonne schien, mächtige Wolkengebirge türmten sich in einem blauen Himmelsozean. Bevor das brisante Sonntagsgefühl wieder einsetzte, ging er zur Tiefgarage hinunter. Schwer dröhnte der Chrysler, als er den Zündschlüssel drehte. An der Ampel bog er andersherum ab als morgens, wenn er zur Schule fuhr, Richtung Stadtwald. Dort parkte er den Wagen auf einer Lichtung. Alles war ruhig hier. Er stieg aus und tat ein paar Schritte. Vögel schrien. Als Luftverkehrsraum der Engel hatte der Himmel da oben sicherlich ausgedient. Doch tatsächlich war das ja ein Bild. Eine Matapher für unzugängliche Territorien und unverstehbare Vorgänge. Als man noch nicht fliegen konnte, stand dort halt der Thron Gottes. Der könnte auch anderswo stehen, und überhaupt Thron ... das sind doch alles nur Symbole. Wo aber könnte der Himmel in Wirklichkeit sich befinden, wenn nicht da oben? Im Inneren? In einem Bereich jenseits von Zeit und Raum? In unbegreifbaren Dimensionen, in Parallelwelten? Unmöglich konnte das nicht sein. Dunklere Wolken waren aufgezogen. Der Himmel sah nun aus wie ein riesiges, filigranes Gewölbe, wie ein Dom. Irgendwie fühlte er sich auf einmal ganz leicht.

 

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