Gedanken zur Konfirmation 2001

Nichts ist verlässlich,
alles ist vergänglich.

von Pfarrer Winfried Anslinger

 

"Wohin sollen wir gehen?" Diese Frage wird heute mehr auf Betriebsausflügen gestellt oder am Sonntag, wenn die Familie nicht so recht weiß, was man mit dem freien Nachmittag anfangen soll. Also: ins Kino oder in die Eishalle oder und anschließend in welche Wirtschaft?

Natürlich meint Petrus es nicht so banal, als er Jesus antwortet mit dieser Gegenfrage. Jeder Pfarrer hätte so einen Petrus gern unter seiner Kanzel sitzen. Wenn er Sonntags zu seinen halbleeren Kirchenbänken predigt und einige der letzten Getreuen sich dann auch noch rar machen.

"Wollt ihr etwa auch noch gehen?"

"Nein, wohin sollen wir denn gehen?", beruhigt Petrus seinen Meister.

Uns würden viele Alternativen einfallen, wohin man gehen kann, außer in die Kirche. Wenn in der Frage nicht noch eine andere Frage drinstecken würde. Das "gehen" steht auch symbolisch für einen Lebensweg. Das Umherziehen der Jünger mit Jesus, die Nachfolge, galt den Kirchen beispielhaft für den Gang durchs Leben.

Früher war dieser Gang vorgezeichnet:

Mit der Konfirmation kam man aus der Schule, dann begann, zumindest für die Buben die Lehrzeit. DA gab es nicht viel Auswahl: Bäcker, Metzger, Landwirt, Schlosser. Die Mädchen blieben oft im Haus oder gingen zu einer Herrschaft in die Hauswirtschaft. Wenn man ausgelernt hatte, ging 's zum Militär und danach wurde geheiratet. Dann kamen Kinder und alles ging wieder von vorne los.

Diese einfache, überschaubare Welt, in der es bei näherem Hinsehen dann doch nicht so einfach war, ist längst vergangen. Die Wege sind nicht mehr vorgezeichnet. Es müssen mehr persönliche Entscheidungen getroffen werden. Schon die Eltern müssen einiges für die Kinder auf den Weg bringen: Wird ´s getauft? Und dann: in welcher Kirche? Wie soll man das Kind ernähren? Wann gehe ich als Mutter wieder arbeiten? In welche Schule schicken wir 's?

Mit zunehmendem Alter greifen die Kinder dann selber in die Entscheidungen ein. Und das beginnt schon früh. Wenn das Alete-Gläschen nicht mehr schmeckt, bleibt der Mund zu. Wenn die Eltern nicht in der Nähe sind, gibt 's ein Brüllkonzert, der erste Tag im Kindergarten ist ein Drama.

So greifen elterlicher und kindlicher Wille von Anfang an ineinander und beschreiben einen komplizierten Prozess der Selbststeuerung, der natürlich kein autonomer Prozess ist, sondern durch vielerlei äußere Einflüsse bestimmt bleibt.

Das merkt man an den Kommentaren der Umwelt:

- Bei diesem Wetter ohne Jacke raus? Das Kind erkältet sich doch.
- Wenn du so weitermachst, wirst du 's zu nichts bringen
- War dein Sohn auch dabei?

Die Wertvorstellungen der Umwelt erziehen mit. Die Schule erzieht mit, das Fernsehen erzieht ganz viel mit. Die Eltern merken manchmal schmerzlich, daß ihr Einfluss schneller dahinschwindet als sie es wahrhaben wollen. Dann kommen bange Fragen auf: Es wird die Tochter doch nicht in schlechte Gesellschaft geraten? Es wird der Sohn doch nicht auf die schiefe Bahn kommen?
Freiheit bedeutet Verantwortung. Wie soll sie eingeübt werden? Ist man selber darauf vorbereitet? Ist Ausprobieren lassen besser als Führen? Welches Vorbild geben wir, die Eltern ab? Haben wir uns selbst schon mal beobachtet? Wie würden wir als Kinder auf das reagieren?

Wohin sollen wir gehen? - eine überaus aktuelle Frage.

Es gibt da viele Ratgeber. Erziehungsratgeber, Lebensberater, sogar im Fernsehen wird eifrig vor laufenden Kameras geholfen, besonders Samstag abends, wenn die Brigitte Lämmle sich ins Zeug legt. Ein ganzer Berufsstand hat sich mittlerweile etabliert, um der Ratlosigkeit abzuhelfen, die sich angesichts so vieler Freiheitsspielräume breitgemacht hat.

Das hat alles seine gute Seite, aber auch eine schlechte. Unter den Ratgebern gibt es große Unterschiede in Qualität und Richtung. Man muß auch da kritisch sein und auswählen. Wer den Weg sich zu bequem macht, indem er Verantwortung und die Qual der Wahl gänzlich ablehnt, wird früher oder später in Abhängigkeiten landen. Und das bedeutet meist, daß andere darüber bestimmen, was für mich gut ist.

Wie hat Jesus seinen Zeitgenossen aus ihrem Dilemma geholfen?

Deutlich ist, dass damals auch große Unsicherheit herrschte: "Wohin sollen wir gehen?"

Jesus schrieb keinem genau vor, was er zu tun und zu lassen hat. Weil er weiß, wie verschieden die Leute sind. Aber er erkannte zugleich sehr genau, was wem fehlte. Der Lahme, der Blinde, der Aussätzige, sie haben schnell Hilfe erfahren. Und die Gesunden? Was fehlt ihnen?

"Mir fehlt nichts", diesen Satz hört man oft. Und es stimmt ja auch, noch nie ist es einer Generation von Menschen so gut gegangen wie der heutigen. Das gilt trotz gelegentlicher Hungerkatastrophen. Die Mehrzahl der Menschen, zumal hier, hat satt zu essen, muss eigentlich keine Existenzängste haben, weiß aber zugleich oft nichts mit sich anzufangen. Es fehlen Lebensaufgaben.
Das verbindet uns mit den Jüngern. Auch sie suchten nach einem Sinn für ihre Existenz. Sie hätten ja weggehen können. Aber sie blieben, weil dieser Jesus noch etwas anderes anzubieten hatte außer Gemeinschaft und Abenteuer.

"Du hast Worte des ewigen Lebens", sagt Petrus. "und wir haben erkannt und geglaubt, dass du bist der Heilige Gottes".
Das ist alles. In diesen zwei Sätzen sagt er, worum es geht bei der Religion. Die "Worte des ewigen Lebens" stehen für umfassende Hoffnung. Für Denken über den eigenen Horizont hinaus. Für einen verlässlichen Ankerpunkt in einer vergänglichen Welt.

Nichts ist verlässlich, alles ist vergänglich. Verlassen wollen wir uns darauf, daß du Gott, Interesse an uns hast. Wo immer du bist. Wer immer du bist. Wir wissen fast nichts von dir. Außer der Möglichkeit, daß es dich gibt.

Ist es nicht merkwürdig, dass die wichtigsten Fragen unseres Daseins so im Dunkel sind? Für viele ist das ein Grund zu sagen: Darauf verzichten wir. Wir halten uns lieber an die Tatsachen. Doch was sind Tatsachen in einer vergänglichen Welt? Morgen kann alles über den Haufen geworfen sein. Dann bleibt nur eins.

Das ist der Angelpunkt allen Daseins. Er ist realer als alles Vergängliche, weil er immer gleich bleibt.

Die Möglichkeit, ihn zu denken, ist der einzige Hinweis darauf, dass es Gott gibt. Und wenn es ihn gibt, ist er die einzige Möglichkeit, unserem Dasein Sinn und Zweck zu geben, der über die Welt hinausreicht.

"Wohin sollen wir gehen?" Die Frage beantwortet sich von selbst. Wo immer uns das Leben hinführt. Es wird gut sein, darauf zu setzen, dass unseren Ziele und Wünschen noch eine andere Zweckbestimmung vorausgeht. Und dass wir da nicht versagen und scheitern können. Das ist eine ungeheuer starke Ermutigung.

Nehmt sie mit euch auf den Weg, liebe Konfis. Ihr werdet sie schneller brauchen als ihr glaubt.

 

 

Fürbittengebet:

Wir beten:

Herr, unser Gott,
am heutigen Tag danken wir dir für die vielen guten Gaben.
Wir danken für alle Menschen, die freundlich zu uns sind,
Wir danken für unsere Eltern und alle,
die geholfen haben uns zu erziehen.
Wir danken dafür, dass wir ohne Not aufwachsen konnten,
dass wir weder Hunger noch echte Todesangst kennenlernen mussten.
Wir danken dir für unsere Freunde, für die Geschenke, für die Feier.
Wir wünschen uns,
dass wir gesund bleiben,
dass die Mitmenschen uns so akzeptieren wie wir sind,
dass wir einmal einen Beruf bekommen, der uns Freude macht,
dass wir für alle schwierigen Probleme Lösungen finden,
dass wir fair und gerecht sein können,
dass man uns ebenso behandelt..
Dass wir einmal selbst eine Familie haben können,
oder eine Lebensgemeinschaft, in der wir uns aufgehoben fühlen.
Wir wünschen uns Frieden und eine bessere Umwelt,
Hilfe und Beistand, wenn wir Angst haben,
Wir wünschen uns viel Geduld und Ausdauer.
Wir bitten dich Gott,
mache uns fähig,
unser Leben selbst in die Hand zu nehmen,
ohne dass andere über uns bestimmen und verfügen.
Mache uns bereit, Kranken und Einsamen zu helfen,
Mache uns bereit, gegen Gewalt und Unrecht einzustehen,
mache uns fähig, Menschen, die anders sind, mit Respekt zu begegnen.
Deine Gebote sollen uns Leitlinie und Richtschnur sein.
Segne unseren Weg.

Amen

 

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