Gedanken zu Geduld und Frieden

Die Menschheit liebt den gescheiterten Jesus
mehr als den Feldherrn.

Werft euer Vertrauen nicht weg. Es hat eine große Belohnung. Geduld ist not, auf daß ihr den Willen Gottes tut und die Verheißung empfanget. Wir aber sind nicht von denen, die da weichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten.
(Hebr. 10, 35 f + 39)

Pfarrer Winfried Anslinger am 15. September 2002


Ich schlage vor, wir merken uns die wichtigsten Gedanken aus diesem Text und kommen nachher auf sie zurück:

Es sind dies:

1. Vertrauen, das man nicht wegwerfen soll,
2. Geduld, die wir nötig haben und
3. Dass wir zu denen gehören, die glauben und die Seele retten.

Ich möchte jetzt die Geschichte eines amerikanischen Schriftstellers erzählen, der einen bedeutenden Roman geschrieben hat und zugleich an ihm gescheitert ist.

Es handelt sich um William Faulkner. Er wurde im Jahr 1897 im Staat Mississippi geboren, nahm am 1. Weltkrieg teil und studierte anschließend Literatur ohne Abschluss. Wie viele literarische Zeitgenossen führte er ein unstetes Leben, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, unternahm Reisen, schrieb Drehbücher für Hollywood. Ab den 30er Jahren erschienen seine großen Romane. Im Jahr 1943 hatte er - unter dem Eindruck des 2. Weltkrieges - die Idee zu einem Roman, an dem er 10 Jahre arbeitete und den er selbst als sein wichtigstes Werk ansah. "A Fable", zu deutsch: Ein Märchen.

Der Roman spielt im 1. Weltkrieg. Hauptfigur ist ein französischer Soldat namens Stephan. Stephan ist ein schlichter, einfacher Mensch von 33 Jahren. Er kann weder lesen noch schreiben. Mit seinen beiden Halbschwestern Maria und Martha hat er zeitweise in Kleinasien gelebt und war durch die Heirat Marthas mit einem französischen Kolonialbeamten nach Frankreich gekommen. Zu viert hatten sie dort einen kleinen Bauernhof bewirtschaftet. Es ist das Jahr 1914. Der erste Weltkrieg bricht aus. Stephan, der in Marseille ein Mädchen mit zweifelhaftem Ruf namens Magdalena liebt, muss an die Front.

Dort dauert es nicht lange und der ungebildete Kamerad fällt auf. Durch eine ungewöhnliche Geduld. Durch die Fähigkeit, Schmerzen und Leid zu ertragen. Durch Güte und Nachsicht. Eigenschaften, die in den Schützengräben nicht gerade häufig sind. Er sammelt 12 Freunde um sich. Einer der Anhänger verrät ihn. Ein anderer verleugnet ihn. Ein dritter, Paul, übernimmt seine Vertretung.

Stephan verhält sich auf spektakuläre Weise friedfertig, mitten im Krieg. Er fordert seine Kameraden auf, die Waffen niederzulegen. Sie folgen ihm. Und nicht nur sie. Es wird auch bei den Feinden bekannt. Auch sie legen die Waffen nieder. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich der Friede mitten im Krieg. Die Zeit steht still.

Die Generäle beider Kriegsparteien ist gelähmt vor Schreck. Die Völker gehorchen ihnen nicht mehr. Sie nehmen Kontakt miteinander auf und es gelingt ihnen, das Töten wieder in Gang zu setzen. Stephan wird festgenommen und vor ein Kriegsgericht gestellt. Vor den Schranken dieses Gerichts kommt es zu einem Streitgespräch zwischen dem obersten Befehlshaber der alliierten Streitkräfte und Stephan, dem Feldmarschall und dem einfachen Bauern. Eindringlich versucht der Befehlshaber, Stephan zum Einlenken zu überreden. Er solle heimlich verschwinden, sich in Sicherheit bringen, er bietet ihm Fluchtmöglichkeiten an. Er bietet ihm Reichtümer, alles was die Welt begehrt. Stephan bleibt hart. Am Ende bleibt nichts übrig, als ihn wegen Meuterei hinzurichten. Stephan wird mit zwei anderen zusammen hingerichtet: einem Mörder zur Linken, einem Dieb zur Rechten. Er trägt eine Krone aus Stacheldraht. Sein Leichnam wird von drei Frauen: Maria, Martha und Magdalena, geborgen und begraben.

Es ist offensichtlich: William Faulkner wollte einen Jesusroman schreiben. Die Parallelen gehen bis in die Details. Und ebenso klar wie die Parallelen ist die Aussage des Romans: Würde Jesus heute auf die Welt kommen, würde es ihm genauso ergehen wie damals. Er würde in unauflösbaren Widerspruch zur Welt geraten und daran scheitern. Man würde ihn vernichten, weil seine unsichtbare Welt der Liebe mit der tatsächlichen Welt des Hasses nicht vereinbar ist. Im entscheidenden Streitgespräch sagt der General:

"Ich, Vertreter dieser weltlichen Erde, die, ob ich ihr zustimme oder nicht, existiert - und in die ich kam, ohne darum gebeten zu haben, der aber ich ... nicht nur ein Halt entgegensetzen, sondern die zum Halten ich zu bringen beabsichtigen muss - und du, Vertreter eines esoterischen Reiches der grundlosen Hoffnung des Menschen und seiner unbegrenzten Leidenschaft für das Untatsächliche. Nein, wir stehen uns in Wirklichkeit nicht feindlich gegenüber, wir bekämpfen uns nicht wirklich. Wir könnten sogar Seite an Seite in dieser Arena existieren und würden es auch, hätte deine sich nicht eingemischt in meine."

Ja, gern hätte der General die friedliche Koexistenz von Gottesreich und Menschenwelt gesehen. Aber es klappt nicht. Das Gottesreich mischt sich ein in die Menschenwelt und stört diese empfindlich. Es geht nicht weiter. Wo kämen wir hin?

So muss das Gottesreich aus der Welt verschwinden. Und zwar vollständig.

Faulkner treibt diesen Gedanken so weit, dass er Stephans Leichnam nicht im Grab lässt. In ironischer Anspielung auf die Auferstehung lässt er ein Artilleriegeschoss auf Stephans Grab treffen, sodass der Leichnam wieder ans Tageslicht kommt. Durch Zufall - oder nicht - werden seine Gebeine später unter vielen anonym Bestatteten ausgewählt für das Grab des unbekannten Soldaten in Paris unter dem Triumphbogen. Da liegt er dann - umgedreht zum nationalen Tapferkeitssymbol - unter einer Marmorplatte mit vielen Worten, die er nicht mal lesen könnte. Und um die Ironie auf die Spitze zu treiben, wird Jahre später der General, der ihn hat hinrichten lassen, unter militärischem Pomp an seiner Seite bestattet. So ist Jesus endgültig besiegt, seine Taten rückgängig gemacht.

Faulkners Roman ist ein Zeugnis der Resignation. Vor der Unabwendbarkeit von Krieg und Gewalt in seinem Jahrhundert. Er, der unermüdlich gegen Rassenhass und Diskriminierung in seiner Heimat gekämpft hat, kapituliert vor den historischen Fakten.

Darin unterscheidet sich seine Geschichte dann doch vom Vorbild.

Im Evangelium folgt auf den Tod die Auferstehung. Faulkner kann sich zur Überwindung der Menschenwelt nicht durchringen. Insofern scheitert er mit seinem Jesusroman. Sein Christus endet mit der Kreuzigung und bestätigt das Böse.

Sein Roman war kein Erfolg. Kritiker bemängelten die Vielzahl plumper Parallelen, die zu keinem Ziel und Ergebnis fänden. Den Nobelpreis bekam er schließlich wegen seiner Werke über den amerikanischen Süden, die den Rassismus anklagen und Untergang der alten Welt der Pflanzerdynastien und Baumwollpflücker beschreiben, nicht wegen "A Fable".

An der Stelle, wo sein Roman abbricht, setzt der Hebräerbrief ein.

"Werft euer Vertrauen nicht weg".

Selbst wenn es so aussieht, als ob das Böse triumphiert, ist die Sache Jesu noch nicht verloren. Evangeliumsgemäß hätte der Roman so ausgehen müssen, dass die übriggebliebenen elf Freunde Stephans eine neue Friedensbewegung ins Leben gerufen und ihre Gesinnung die Welt verändert hätte.

In den schwärzesten Momenten bewährt sich, was der Hebräerbrief "Geduld" nennt. Dass wider den Augenschein an einer Sache festgehalten wird. Da hatte unser vergangenes Jahrhundert ein Problem. Der Augenschein war übermächtig. Es fehlte an dem, was Glauben begründet.

Nur Geschichten, mag einer einwenden. Was ändern Geschichten?

Es mag sein, dass die Phantasie oft ihre Grenze an den harten Realitäten findet. Doch Geschichten bewegen die Herzen. Und die Herzen bewegen Menschen, die vielleicht anders sich verhalten. Das kann dauern, aber nachhaltig wirken.

"Geduld aber ist nötig, dass ihr den Willen Gottes tut und die Verheißungen empfangt."

Die Verheißungen des 20. Jahrhunderts bezogen sich zu sehr auf Ziele, die gewaltsam durchgesetzt werden wollten: Die kommunistische Gesellschaft, die Nation, der Fortschritt durch freien Welthandel.

Dabei haben die Sanftmütigen, die Welt meist nachhaltiger verändert: Der Erfinder in seinem Labor, der Schriftsteller an seiner Schreibmaschine, die Vorkämpferin für eine Idee, der verhandlungsstarke Diplomat.

Verheißungen beziehen sich auf Vergangenes und Künftiges. Frühere Erfolge stärken die Hoffnung auf Künftiges.

Hat sich der Rassenhass in Amerika nicht stark verringert? Nicht zuletzt auch aufgrund aufrüttelnder Romane, welche dem Land den Spiegel seiner Unmenschlichkeit vorhalten?

Hat nicht die dualistische Welt des kalten Krieges sich aufgelöst? Es ist geschehen. Wir werden heute mit Bürgerkriegen und Terrordrohungen in Atem gehalten. Doch all das kann nicht verglichen werden mit dem Weltvernichtungspotential der 80er Jahre. Vielleicht wird deshalb so viel Propaganda gemacht auf allen Kanälen. Damals, als die Gefahr groß war, wurde sie klein geredet. Heute, wo die Gefahr klein ist, wird sie groß gemacht. Als ob jeder demnächst mit einem Terroristen im Vorgarten rechnen müsse. Manche möchten gern wieder neue Kriege führen. Doch ob diese neuen Kriege das Unrecht vermindern und das Recht stärken, steht dahin. Ob sie den Terrorismus auslöschen, ist fraglich. Immerhin wurden die Terroranschläge vor einem Jahr in Hamburg geplant. Weder in Afghanistan, noch im Irak. Die Welt ist anders als in den Vorstellungen der Machtverwalter, die sich für Realisten halten.

Niemand hat 1982 für möglich gehalten, dass die Drohung mit der Massenvernichtung innerhalb von 10 Jahren verschwindet. Außer einer Schar unverbesserlicher Idealisten, die sich an die Verheißung einer friedlicheren Welt klammerten.

Verheißungen begründen sich aus der Vergangenheit. Natürlich interpretieren sie das Geschehene. Im Evangelium wird das Scheitern Jesu dadurch überwunden, dass man sich auf prophetische Überlieferungen besann, die Gottes Eingreifen ins Geschehen beschrieben. So wie Gott damals das Volk durchs Schilfmeer führte. So wie er den Elia rettete, so auch Jesus. Denn der Schöpfer muss sich erbarmen.

Die unsichtbare Welt der Liebe meldet sich zu Wort und entzündet die Herzen. Es entfacht einen Flächenbrand, der irgendwann nicht mehr zu löschen ist. Die Mächte der Menschenwelt müssen anerkennen, dass nicht alles nach ihrem Kalkül läuft. Selbst Pharaonen scheitern, wenn Gott ihnen in den Weg tritt.

Das Verheißene durchbricht Natur und Menschengesetz. Es richtet Blick und Rückgrat auf.

"Wir aber sind nicht von denen, die da weichen, sondern von denen, die da glauben und die Seele erretten", heißt es im Hebräerbrief.
Das sei denen gesagt, die heute meinen, alle Probleme seien am wirkungsvollsten mit Kriegen zu lösen. Den Fundamentalisten auf christlicher wie auf muslimischer Seite. Die Menschheit liebt den gescheiterten Jesus mehr als den Feldherrn. Jesu Sanftmut traut sie mehr zu als den Kanonen. Das hat Faulkner nicht einkalkuliert in seinem Roman. Die Wirklichkeit der menschlichen Seele überholt die dichterische Phantasie. Gottseidank.

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