Gedanken zu Weihnachten 2004

Wichtig bleibt, dass wir uns offen halten.

Pfarrer Winfried Anslinger am 24. Dezember 2004


Joh 3, 16 - 21

Die Weihnachtsgeschichte erzählt sich am besten im Dialekt, weil da zum Ausdruck kommt, wie lebensnah, wie sinnlich und ursprungsmythisch das Ganze ist: Geburt als Anfang allen Lebens, führt uns, wenn wir diesen Vorgang miterleben, nah an das Geheimnis des Seins heran.

Die Weihnachtsgeschichte ist Tradition, in fast in allen Kulturen. Das kommt daher, dass die Erzählung von der Geburt des Gotteskindes in einem ärmlichen Stall zu den Grunderzählungen der Menschheit gehört, die überall ihre regionalen Ausprägungen gefunden hat. Für uns gehört dazu, was uns über Jahre hinweg vertraut und lieb geworden ist: Der Adventskranz und die Krippe, Weihnachtsmärkte und Bescherabend, Christkind und Pelzenickel, Weihnachtslieder und Adventssingen, Zimtwaffeln, Glühwein und Spritzgebackenes, alles was die Sinne anspricht und guttut. Traditionen beheimaten den Menschen. Ohne Heimat keine Wurzeln.
Traditionen repräsentieren einen Reichtum, der sich über viele Generationen angesammelt hat. In dieser Fülle findet sich die eigene Lebensgeschichte wieder, wie sie sich in der Familie, an den Wohnorten, in der Gesellschaft gespiegelt sieht.

Weil diese Tage so besonders sind, bleiben sie im Gedächtnis mit allem was dazu gehört. So können wir rückblickend über die Weihnachtserinnerungen auch die jeweiligen Zeitumstände wieder erschließen. Wie ein Kette von Lichtpunkten leuchten sie aus dem Dunkel des Vergessenen. Weißt du noch damals Heiligabend, als es wieder alles zu kaufen gab? Weihnachten, als der Dieter auf der Welt war. Ein Jahr später als die Herta im Krankenhaus lag. Oder war das 2 Jahre danach? Der Alfred war schon tot. Im Jahr 89, als der Neffe aus der DDR zum erstenmal bei uns im Westen war, später, als die Flüchtlingsfamilie aus dem Kosovo nebenan wohnte. Die haben sich nur gewundert, weil die sind doch alle Moslems dort.

Traditionen repräsentieren allerdings auch Kritikwürdiges. Als der Opa am 1. Feiertag seine Gallenkolik bekam und der Heinz seinen Mopedunfall hatte, das erinnert an die Zeit, wo man beim essen und zu trinken das Maß verlor. Wenn im Radio kommt, dass auch die Queen sich über die Feiertage mit den Royals auf ein Stammschloss zurückzieht, denkt jeder: Hoffentlich streiten sie nicht wieder. Armer Charles. Bei uns war das ja auch ganz schrecklich.

Schrecklich war es vor allem in den Zeiten, als die 68er Generation sich von reaktionärem Christbaum und Kirchgang zurückgezogen hatte und mit den Genossen in Skiurlaub fuhr.

Da ging die Kritik manchem sehr unter die Haut. Die Angst vor Traditionsabbruch, vor einer erneuten Heimatvertreibung, diesmal im Geistigen, ging um. Was bleibt übrig, wenn Weihnachten zu einem prolligen Fressgelage verkommt wie mancherorts bei denen da drüben in der DDR? Wenn Familie nichts mehr gilt, Religion und Vaterland abgeschafft werden? Will man in einer solchen Welt noch leben?

Derartige Schwarz-Weiß-Malerei bestimmt schon unser Bibelwort aus dem Johannesevangelium. Da heißt es: Licht oder Finsternis, gut oder böse, Gericht oder Heil, verloren oder selig. „Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet“. Beschreiben diese Gegensätze die Welt so wie sie ist? Die Wahrheit liegt doch in den Graustufen dazwischen.

Die Mutti mit ihrem rührseligen Weihnachtskomplex ist jetzt eine liebe alte Dame, um die man sich sorgt. Jeden Tag legt man ihr die Tabletten hin, die der Arzt verschrieben hat. Hoffentlich haben wir sie noch eine zeitlang. Der Paps, der alte Reaktionär, immerhin hat er einem sein Haus vererbt. Da kann man nicht mehr meckern. Das Vaterland ist wiedervereinigt ohne dass imperiales Machtgehabe erneut sein Drachenhaupt gezeigt hätte. Die Bundeswehr ist zu einer Friedensmacht geworden. Frieden geht manchmal auch mit Waffen. Enkelkinder sind auch längst da. Sind schon groß und viel braver als ihre Eltern.

Überliefertes ist nicht einfach abschaffbar. Was am Bestehenden der Kritik verfällt, kann aber geändert und gebessert werden. Traditionen entwickeln sich wie alles Lebendige. Die Wirklichkeit ist farbig, viel schöner als in den Verstandesrastern der Intellektuellen.

Doch ganz unrecht hat Johannes nicht. „Das ist aber das Gericht“, schreibt er, dass das Licht in die Welt gekommen ist und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse“.

Wo wären wir ohne das Licht der Aufklärung? Was würde passieren ohne Kontrolle von Macht und Geld? Investigative Journalisten, die nachbohren, bringen immer wieder Erstaunliches zutage, zerren es ans Licht. Gut, dass herausgekommen ist, welche Nebengehälter der CDU General Laurenz Meyer und viele andere Politiker von den Atomstromern bekommen. Jetzt kann man besser verstehen, warum RWE und Yellowstrom so beliebt sind in führenden politischen Kreisen und Windstrom so unbeliebt und vielgescholten, obwohl ¾ der Bevölkerung ihn wollen. Schade nur, dass Frau Merkel ihren Yellowstromer so schnell zurückgezogen hat. Sie hat uns den Spaß an Fasching verdorben, wo wir hätten singen können: „Herr Meyer, Herr Meyer hat gelbe Unterhosen an“. Aber diese Nordlichter haben halt keinen Humor.

Auch der Armutsbericht der Bundesregierung, den man am liebsten unter Verschluss gehalten hätte, wird seine Wirkung nicht verfehlen. Dort steht drin, daß auch im laufenden Jahr die Reichen wieder reicher und die Armen ärmer geworden sind. Den Preis der Globalisierung zahlen ausschließlich die Kleinen, nur die besser Gebildeten und Verdienenden profitieren. Das bei einer Regierung, die den Schutz der kleinen Leute auf ihrem Programm stehen hat.

Kritik ist unverzichtbar, sonst verhärtet die Welt. Auch die Traditionen würden versteinern und müssten irgendwann zerbrochen werden. Doch darf Konfrontation nicht das letzte Wort behalten. Johannes geht es eigentlich auch nicht um Verurteilung. Es heißt ja, Gott habe seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass sie durch ihn gerettet werde. Also keine falschen Alternativen, keine Unterteilung in Gute und Böse. Gericht ist hier nicht die Verurteilung durch eine Fremdinstanz, die dem einen recht gibt, den anderen ins Höllenfeuer wirft. Jeder Mensch richtet sich vielmehr selbst durch das was er tut und denkt. Er hat den Gerichtshof in sich. Er wird in einer stillen Stunde sich selbst das Urteil sprechen können. Und stille Stunden finden sich an Weihnachten genug. Doch soll er dabei nicht unbarmherzig sein, es geht um die Rettung des Sünders. Manche Leute verfahren mit sich selbst unnachsichtiger als mit ihren Quälgeistern. Sie haben das Verfahren viel weniger nötig als jene, die sich zu viel verzeihen.

„Also hat Gott die Welt geliebt“, beginnt unser Weihnachtsevangelium. Dieser Satz steht vor allen anderen. Es soll die Finsternis vertrieben, aber schließlich die Versöhnung herbeigeführt werden. Wenn es wahr ist, dass Gott die Welt liebt, braucht niemand fürchten, anders Glaubende, anders Handelnde oder nicht Glaubende gefährdeten irgend etwas. Gott ist nicht beleidigbar. Was durch ihn geschaffen wurde, ist durch ihn gerechtfertigt. Was wir als falsch erkennen, können wir korrigieren. Gibt es ein schöneres Angebot als dies: Du darfst anders werden, wenn Du Dir nicht mehr gefällst. Du darfst ein anderer werden, wenn du merkst, es geht so nicht mehr weiter?  

Mit dem Glauben ist das auch nicht so gemeint, dass eine bestimmte Vorstellung verlangt wäre. Wem "Gott vom Himmel hoch" nichts sagt, der findet ihn vielleicht im Mitmenschen oder in den Aufgaben, die das Leben stellt. Auch Glaube wandelt sich und von Anfang an war er als vielstimmiger Chor vorhanden. Wichtig bleibt, dass wir uns offen halten. Dass wir uns treffen lassen von Worten, von Gedanken, von Liebenswertem, das uns in Menschen begegnet. So hören sich die lebensfördernden, sozialintegrativen, humanen Werte des Evangeliums an, der frohen Botschaft vom Heilwerden der Welt.

Das wird guttun, das kann retten vor Trauer und Resignation, vor Hass und Härte. In Bildern ist das alles besser auszudrücken als mit Worten. Darum werden Engel und Hirten, Sternhimmel und Nacht, Mutter und Kind ihre Bedeutung behalten. Als Bilder, die offen bleiben für Gottes Wirken zwischen Ewigkeit und Geschichte, gemalt mit den Farben prallen Lebens. Der Nachthimmel über Bethlehem ist der gleiche gewesen wie heute. Das Licht hat gestrahlt und hat vieles besser gemacht. Wer könnte das bestreiten? Also: lassen wir das Licht weiter leuchten - für uns - machen wir die Augen auf.

Fröhliche Weihnachten.

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