Gedanken zu Weihnachten 2006

Schöpfung ist Kunst.
Und wir sind an ihr beteiligt.

"Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, uns wir sahen seine Herrlichkeit als die des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit".

(Joh 1, 1 + 14)

Pfarrer Winfried Anslinger am 24. Dezember 2006


Am Anfang war das Wort. Es geschah vor etwa 200 000 Jahren, als sich von Afrika aus eine neue Spezies sich auf der Erde verbreitete. Diese hatte, bedingt durch einige wenige Veränderungen im Erbgut, eine neue Fähigkeit entwickelt. Das ermöglichte ihr ein kompliziertes Gemeinschaftsleben mit Arbeitsteilung und Erfindungen, die Bildung von großen Verbänden und darin ein planvolles Handeln. Das führte zu einer der größten Umwälzungen auf unserem Planeten. Diese neue Art machte sich die ganze Erde untertan, nannte sich Menschheit und beurteilte Gut und Böse nach ihrem eigenen Nutzen.

Die neue Fähigkeit bestand darin, dass sie Erlebtes in Wörter und Begriffe verwandeln konnten. Diese Wörter und Begriffe ließen sich - genauso wie Bilder - im Gehirn speichern und bei Bedarf wieder aufrufen. Damit konnten viel mehr Erfahrungen gesammelt werden als vorher. Im Unterschied zu den bloßen Bildern können Worte und Begriffe eine komplizierte Innenwelt aufbauen, wo sich die einzelnen Inhalte miteinander in Beziehung setzen, vergleichen, bewerten und verschieben lassen. Ja, es können neue Inhalte konstruiert werden, die abstrakt - also ohne Anschauung - operieren. Damit lässt sich die ganze Umwelt nach Zeit, Raum und Bedeutungen ordnen. Wer das kann, bekommt einen klaren Überblick.

Begriffe können durch Sprache weitergegeben und als Erfahrung der nächsten Generation zugegeben werden. So verfügt diese über noch mehr Information. Im Lauf der Zeit bildete sich so ein riesiger Erfahrungsschatz, den ein Einzelner nie hätte erwerben können. Die menschlichen Gemeinschaften wurden allen anderen Lebewesen weit überlegen. Am Anfang war das Wort. Das Wort hat uns zu dem gemacht, was wir sind.

"Und das Wort war bei Gott", heißt es weiter. Als Zeit frei wurde, nach dem Jagen und Sammeln auch andere Dinge zu betrachten, bildeten sich Wörter, die Allgemeines beschrieben. Was hinter den Dingen und Vorgängen steckt, interessierte den menschlichen Geist zu Zeiten der körperlichen Ruhe auch. Und es bildeten sich Vorstellungen, die Soziales beschrieben, Religiöses und Weltanschauliches. Vater und Mutter, Himmel, Erde, Geist und Welt. Ich, Du, Liebe und Hass.

Zu den ersten Worten, in denen das erwachende Bewusstsein sich von den Gegenständen unabhängig machte, gehörten die religiösen Begriffe: Gott, Geist, Tod und Angst, Welt, Anfang und Ende. Dabei waren sich die frühen Menschen mehr bewusst als wir heutigen, dass unser Verstehen nur einen kleinen Ausschnitt erfasst von dem, was wirklich ist und dass es gefährlich sein kann, die Geister und Götter, die Mächte der Natur, herauszufordern. Gott und Mensch bewegen sich im großen Haus des Seins nämlich auf verschiedenen Stockwerken. Gott hat das Universum geschaffen und erhält es. Der Mensch ist nur Geschöpf. Beide begegnen sich normalerweise nicht. Wenn sie ein Verhältnis haben, ist es wie eines zwischen dem Töpfer und dem Topf, den dieser eben hergestellt hat.

Trotzdem kommt früh eine Ahnung auf, dass der Geist des Menschen und der Geist des Göttlichen etwas gemeinsam haben könnten. Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, heißt es in alten Mythen, auch unserer Bibel. Nach seinem Bild bedeutet: Es gibt da Gemeinsames. Der Mensch als schwaches Abbild Gottes kann einiges nachvollziehen von dem, was Gott tut und will. Beispielsweise die Erschaffung der Welt.

"Gott war das Wort. Alle Dinge sind durch das Wort gemacht", hörten wir aus dem Johannesevangelium. Da wird eine Weisheit aufgehoben, die viel älter ist als das Evangelium. Dass nämlich das Wort oder der Geist Gottes alles Vorfindliche, also Welt und Mensch, erschaffen habe. Und dass der Mensch mit seinen Worten und Begriffen nachvollziehen kann, was da wie geschehen ist. Alle Dinge sind durch Gottes Wort gemacht bedeutet: Gott ist das Prinzip von Entstehung, Entwicklung und Vergehen. Er setzt Zeit, Raum und Naturgesetze ein. Er weiß auch das Ziel.

Das kann sehr hilfreich sein. Denn des Menschen Existenz ist ja ständig bedroht. Er weiß um seine Endlichkeit aufgrund der Worte und Begriffe, die ihm das alles bewusst machen. Und er ist unglücklich darüber. Sein Evolutionsvorteil schlägt hart gegen ihn zurück. Und nicht nur das. Es bedrohen auch selbst geschaffene Mächte sein Leben: die Ungleichheit, die Gewalt, die Rücksichtslosigkeit und vieles mehr. Sein Unglück drückt er mit vielen Worten aus. Die Psalmen legen davon Zeugnis ab, heutige Literatur und Kunst ebenso.

Kann Gott, der Schöpfer, hier etwas bessern? Soll er es?

Er kann. Gottes Geist kann sich für die Menschen zum Gotteswort verdichten. Wenn Gott und Mensch etwas Geistiges gemeinsam haben, kann Gott uns etwas sagen. Wenn wir nämlich versuchen, aus einer vorgestellten Perspektive Gottes die Welt zu betrachten. Vom Himmel herab sozusagen blicken. Priester und Propheten haben das getan. Und was erkannten sie?

Sie erkannten, dass die Menschen drei Dinge von den Göttern brauchen: 1. Regeln für ihr Zusammenleben, 2. ein sinnvolles Ziel für die Gemeinschaft und 3. Hoffnung über das Leben des Einzelnen hinaus.

Zunächst wurde das für einzelne Völker statuiert: 10 Gebote für Israel. Ein Bündnis, ein Vertrag mit Gott, der Israel schützen soll. Eine Verheißung, die verspricht, aus Abraham ein großes Volk zu machen. Erst relativ spät, als sich im Römischen Reich eine internationale Kultur herausgebildet hatte, kam die ganze Menschheit in den Blick. Nun werden alle Völker zu Vertragspartnern Gottes. Das finden wir im Neuen Testament: In Christus sind wir alle eins, heißt es da. In Christus sind wir alle erlöst. In Christus haben wir Anteil an einem unzerstörbaren Leben, welches von Gott kommt und zu Gott zurückkehrt.

In Christus.

Er ist der Garant und Bürge für die Wahrheit von Aussagen, die über alles Bisherige hinaus gehen. Weil sie der ganzen Menschheit Trost, Hilfe und ein sinnvolles Ziel verheißen.

Das kann das nur sein, wenn durch Christus Gott spricht. Gottes Geist und Wort also durch Geist und Wort Christi, wobei sich in der Gestalt Christi für uns Göttliches und Menschliches mischt. Darum heißt es weiter im Evangelium:

"Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. Und wir sahen seine Herrlichkeit."

Wenn Gott unter uns wohnte, muss sein Verhältnis zu uns anders sein als das zwischen Töpfer und Topf. Es wäre eher so wie zwischen Künstler und Kunstwerk. Der Künstler hat eine persönliche Beziehung zu seinem Werk. Er freut sich daran und will es erhalten.

Jedenfalls ist die bisherige Geschichte der Menschheit eher von bewahrenden Impulsen bestimmt worden als von Zerstörendem. Das wird gern übersehen, weil Drohkulissen wirksamer scheinen. Aber der Künstler wirft ein misslungenes Werk nicht gleich weg, sondern versucht, noch etwas daraus zu machen. Er korrigiert und werkt daran herum. Das ist mühsam und schmerzhaft. Für beide. Aber es lässt eine Chance, dass am Ende etwas Gutes dabei heraus kommt.

Genau das ist die Grundaussage jeder gescheiten Religion. Sie gibt dem Menschen Hoffnung, dass trotz aller Unvollkommenheit sein Dasein vor einer letzten Instanz bejaht ist. Dass trotz aller Bedrohungen sein Ich in letzter, entscheidender Hinsicht bewahrt bleibt. Sie stellt sein Einzelschicksal in einen sinnhaften Bezug zum Ganzen. Sie verbürgt, dass trotz aller Übel ein guter Ausgang der Geschichte möglich ist.

Weihnachten. Gott kommt auf die Welt. Er will sein Kunstwerk in Ordnung bringen. Er müht sich darum, indem er alles Elend teilt.

Krippe, Kälte, Finsternis. Maria und Josef, das arme Paar ohne Herberge. Hirten, Engel und Stern. Doch himmlische Heerscharen loben Gott in der Höh. Wir haben eine ganze Kultur um diese Aussagen und Symbole herum entwickelt. Ein Fest, das alle Sinne anspricht wie kein zweites. Duft und Lichter, Lieder und Geschichten, Essen und Trinken. Wir feiern die Familien. Wir treffen die Menschen, die uns am nächsten sind. Kalt soll es sein, damit es in der Höhle um das Feuer um so wärmer wird. Uralte Gefühle wachen auf, älter als alles, woran wir uns erinnern könnten. Sie erzeugen eine Stimmung, die mit nichts verglichen werden kann, was wir sonst im Jahr erleben. Ein glückhaftes Fließen zwischen nostalgischer Erinnerung und unbestimmter, aber froher Erwartung. Das Erwartete wird weltlich erfüllt in Gestalt der Geschenke an Kinder und andere Schutzbefohlene, doch dahinter kann sich eine andere Erwartung verbergen, für die es keine Worte gibt, weil sie aus einer Zeit kommt, als noch keine Worte existierten. Kein Tag im Jahr ist so gefühlsbesetzt und das erklärt auch die Hektik, mit der wir uns darauf vorbereiten. Wir wollen unbedingt, dass es gelingt. Nichts verpatzen. Alles soll stimmen, damit wir das Gefühl haben: es stimmt alles mit uns. Im Himmel und auf Erden steht alles gut.

Alles soll in Ordnung kommen. Schon mit dem Weihnachtsputz fängt das an. Dann die wohl abgewogenen Einladungen, die Aufmerksamkeiten und Grüße, eine Weihnachtskarte in letzter Minute, um ja nichts zu versäumen.

Wie arm wären wir ohne all diesen Reichtum, der mit Geld eigentlich nichts zu tun hat, bloß nebenbei vielleicht.

Ein Reichtum, der uns auf eine Welt hoffen lässt, wo es keine vernachlässigten Kinder mehr gibt, keine Tafeln, keine Obdachlosen. Wo Panzer und Atomwaffensperrverträge keinen Sinn mehr machen. Wo man über Krankenkassenbeiträge und Mehrwertsteuer sich keine sorgenvollen Gedanken mehr macht. Weil im Universum der Worte Pläne und Ziele sichtbar werden, die den Mächten des Chaos und der Finsternis keine Chance mehr lassen.

So ist und bleibt Weihnachten ein Fest der zeitlosen Hoffnungen, die sich im Kleinen schon zeigen und wirken. Mir bleibt, Ihnen bei all dem fröhliche, selige und gnadenbringende Stunden zu wünschen.

 

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